Jostein Gulbrandsen im Interview

Neue Meister: New Yorker Jazz mit norwegischem Blut

“Ich möchte das, was ich in meinem Kopf höre, auf das Instrument bringen – egal in welchem Stil oder Tempo.”

Jostein Gulbrandsen im Interview mit Dino Wurtinger

Es ist ein besonderes Gefühl in einer Stadt der Superlativen durch den Stadtteil Greenwich zu schlendern. Ein Café besuchen, ein Restaurant aufsuchen … – wobei sich hierbei oft die Frage stellt “Wo ist das beste Café, der beste Cheesecake oder der leckerste Burger der Stadt zu finden”. Hier scheiden sich womöglich die Geister.

Wenn wir aber einen Jazz Kenner fragen, wo es in der Gegend aufregenden Jazz zu hören gibt, so werden wohl schnell die Worte “Smalls, 55Bar und Village Vanguard” fallen. Eins ist sicher – wer in einen dieser Clubs den Gitarristen Jostein Gulbrandsen sehen durfte, hat einen guten Tag erwischt.

Jostein ist eins der aufregenden neuen Gesichter der New Yorker Jazz Szene. Der Gitarrist mit norwegischen Wurzeln ist seit 2001 wohnhaft in New York und blickt mittlerweile auf 3 Albumproduktionen als Bandleader zurück. Er spielte in den angesagtesten Jazzclubs New Yorks, hielt Masterclasses an renommierten Jazzfestivals und Hochschulen wie dem Jazzfestival Trondheim und dem Music Conservatory Agder. Weiterhin ist Gulbrandsen Buchautor der Bestseller Jazzschule “Modern Jazz and Fusion Guitar” (Hal Leonard). Als wäre das nicht schon genug, ist Jostein Gulbrandsen außerdem Endorser und Artist für die high End Gitarrenfirma Collings Guitars.

Album Looking ahead von Jostein Gulbrandsen auf Spotify streamen
Modern Jazz & Fusion Guitar
Lehrwerk von Jostein Gulbrandsen

Jostein’s Spiel besticht durch virtuose Legatolinien, einer umfangreichen musikalischen Sprache, welche sich nicht nur ausgetretenen Pfaden bedient, sondern in sämtlichen Stilrichtungen genährt wurde. Man bekommt das Gefühl, dass es kaum einen Stil gibt, welchen Gulbrandsen nicht meisterhaft beherrscht. Neben seinen tiefen Wurzeln in der Fusion und Post-Bop Musik, hört man gekonnte Beboplines sowie singbare Blues und Swing Linien. Hin und wieder unternimmt der norwegische Musiker Ausflüge in die Country und Gypsy Musik und beweist immer wieder seine enorme Vielfältigkeit und Bandbreite seiner Fähigkeiten.

Es war eine große Ehre diesen besonderen Musiker interviewen zu dürfen.

Interview

Dino: Jostein, du kamst aus Norwegen nach New York, um an der rennomierten “Manhatten School of Music” Jazz zu studieren. Hattest du immer schon das Gefühl, dass man unbedingt nach New York reisen muss, um als Jazzmusiker erfolgreich zu werden oder Fuß zu fassen? Auf der anderen Seite – wie hart ist es, sich als Jazzmusiker in einer Stadt zu behaupten, welche als Schmelztiegel für Jazz auf der ganzen Welt gilt?

Jostein: Eigentlich studierte ich erst eine kurze Zeit an der Universität in Nord-Texas, bevor ich meinen Master an der Manhatten School machte. Ich denke es ist überall auf der Welt möglich erfolgreich zu sein, aber für die meisten Jazzmusiker ist es sehr hilfreich eine Zeit lang in New York zu leben. Hier gibt es so viele großartige Musiker und viele verschiedene tolle musikalischen Dinge entstehen. Innerhalb der New Yorker Szene gibt es zig Sub-Szenen für jede musikalische Entwicklung. Wenn du aus einer kleinen Stadt kommst und dich dort als einer der besten Spieler giltst, kannst du schnell in eine Komfortzone rutschen. Diese führt dazu, dass du weniger hart an deinem Spiel arbeitest. In New York kann dir das nicht passieren. Hier musst du ständig am Ball bleiben, um mit all den großartigen Musikern mithalten zu können. Außerdem haben die Musiker eine spezielle Art zu spielen, einen Drive mit Kanten, welchen man nur schwer woanders hören kann . Aber wie ich schon sagte, es gibt Weltklasse-Spieler auf der ganzen Welt.

Dino: Während der Pandemie war und ist es immer noch eine harte Zeit für alle Bühnenkünstler. Was hat dir durch diese schwere Zeit geholfen? Konntest du unterrichten?

Jostein: Glücklcherweise hatte ich bereits eine große Anzahl an Schülern, welche ich auf Online Unterricht umstellen – und neue Schüler gewinnen konnte. Ich hatte vorher niemals Onlineunterricht angeboten, doch auf einmal war ich gezwungen. Jetzt werde ich es auch weiterhin anbieten. Ich hatte mehr Zeit zum üben, an meiner Musik zu schreiben und Laufen zu gehen – Zum Glück erwischte mich das Virus nicht. So richtig warm wurde ich nie mit dem Live-Streaming Trend, welcher sich momentan abzeichnet – aber einige scheinen damit auch gute Erfahrungen gemacht zu haben.

DIno: Auf dieser Webseite haben wir viele Leser, welche erst seit kurzem versuchen einen Zugang zur Jazzmusik zu erhalten. Wo sollte deiner Meinung nach ein Jazz-Beginner starten?

Jostein: Es ist sehr wichtig, dass man viele verschiedene Jazz Aufnahmen hört und sich auch mit der Geschichte des Jazz beschäftigt. Viele Spieler stürzen sich gleich auf die Theory, anstatt sich erstmal mit der Musik und den bedeutenden Aufnahmen und Ikonen zu beschäftigen. Danach ist es wichtig leichte Standards zu lernen. Spiel die Melodie, lerne zu Begleiten und improvisiere ein bisschen. Die Theory kann während dieses Prozesses immer mehr angelesen werden. Jedes Stück hat andere Akkordverbindungen, welche dich dazu bringen die Theory zu lernen und man erkennt, dass viele Stücke Gemeinsamkeiten haben. Versuche außerdem ein gutes Swing-Feel zu entwickeln – das braucht natürlich Zeit. Heutzutage bekommt man schnell das Gefühl, dass das Swing-Feel ein bisschen vernachlässigt wird. Auch wenn du eigentlich Musik spielst, welche nicht swingt, so ist es wichtig, dass du ein Verständnis dafür hast und eine gute Phrasierung entwickelst. Schreib außerdem auch eigene Musik und entwickel eigene Ideen. Ich habe immer versucht keinem musikalischen Trend hinterher zu eifern. Gerade für junge Spieler kann es verlockend sein, einem bestimmten Sound oder Spieler zu idealisieren und ihn zu kopieren und nicht mehr nach sich selbst zu klingen. Aber Geschmack und Stil verändern sich je älter man wird. Früher mochte ich keine Bebop Musik, weil ich aus der Fusion und Europäischen Ecke kam. Jetzt aber liebe ich es Bebop und Straight-Ahead Jazz zu spielen und mag Spieler wie Wes, Joe Pass, Grant Green, Jimmy Raney. Es scheint, dass Heute ein Mix aus Fusion, Modern Jazz, Bop und Blues in meinem Spiel herrscht. Anstatt dagegen anzukämpfen, sehe ich es als Bereicherung und spiele einfach warauf ich Lust habe. Sich selbst treu bleiben und bereit sein seine Meinung auch mal zu ändern ist wichtig. Das Wichtigste aber ist, dass man Spaß am spielen hat. Auch wenn du mal richtig hart arbeiten musst, versuche niemals den Spaß zu verlieren und sei nicht zu streng zu dir, wenn mal was nicht auf Anhieb klappt.

Jostein Gulbrandsen im Trio – Live in New York

Dino: Was ich hörte, denkst du nicht viel in Skalen und Theorie während du improvisierst. Bedeutet das, dass du generell Skalen und Theorie ablehnst? Oder meinst du damit, dass du den Stoff so sehr verinnerlichst hast, dass du nicht mehr bewusst nachdenken musst was du tust? 

Jostein: Ja ich lernte Jazz-Theorie intensiv und schrieb sogar ein Buch “Modern Jazz and Fusion Guitar” für den Hal/Leonard Verlag. Ich denke viele Spieler, welche seit einer langen Zeit spielen, kommen zu dem Punkt wo sie nicht mehr bewusst an Theorie denken während sie spielen.  Es dauert ein bisschen bis man an diesen Punkt kommt. Ich finde auch, dass man bei einigen Spielern, welche noch nicht so lange spielen und noch stark über die Theorie während dem Spielen nachdenken müssen, man eine Schwäche in Phrasierung und Timing bemerken kann. Jazz ist eine Sprache und Rhythmus ist ein Teil davon. Es ist außerdem hilfreich Jazzphrasen zu transkribieren, sie zu ändern und sie so klingen zu lassen, dass es nicht “vorgeplant” klingt. Immer wieder sehe ich junge Spieler, welche komplette Soli transkribieren. Ich persönliche denke aber, dass es effektiver ist immer nur einige Takte und Phrasen zu lernen und mit diesen dann kreativ zu arbeiten. Ich selber habe nie komplette Soli gelernt und nachgespielt, außer ein paar, welche ich für die Hochschule lernen musste. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich so das meiste daraus ziehen konnte. Es ist eine andere Disziplin ein Solo aus dem Nichts zu improvisieren oder ein Solo Note für Note von einem anderen Spieler nachzuspielen. Oft bekommen Spieler große Anerkennung wenn sie ein schwieriges Solo transkribiert haben und Note für Note nachspielen können. Wenn es dann aber an die Improvisation geht, haben sie sich nicht viel weiterentwickelt.

Dino: Ich könnte mir gut vorstellen, dass viele Leser an der flüssigen und beeindruckenden Spieltechnik interessiert sind. Mir ist aufgefallen, dass deine Schlaghand sehr nah am Griffbrett positioniert ist und du direkt über den Pickup anschlägst. Wie hat sich das entwickelt? Kommt es von der klassischen Gitarrenausbildung? 

Jostein: Klassische Gitarre war immer nur ein Nebeninstrument für mich. Erst seit einigen Jahren, habe ich mir eine gute klassische Gitarrentechnik angeeignet. Ich bin mir nicht sicher in wie Weit es meine Spieltechnik an der elektrischen Gitarre beeinflusst hat , wo ich ja ein Plektrum für Melodien benutze. Ich denke aber es hat bei der Koordination geholfen. Das ich so nah am Gitarrenhals und direkt über dem Hals-Pickup spiele war mir nie bewusst, bis jemand meine Videos sah und mich darauf ansprach. Ich denke ich mag einfach den Klang bei den meisten Gitarren, wenn man an dieser Stelle der Gitarre anschlägt. Es hat auch immer damit zu tun, welche Gitarre ich spiele. Ich wechsel zwischen vielen verschiedenen Instrumenten täglich. Ursprünglich begann ich als ein von Legato-Technik geprägter Spieler und wollte klingen wie Allan Holdsworth und Scott Henderson. In den letzten Jahren habe ich mich dann mehr mit dem Anschlag befasst, hauptsächlich basiert es auf “Economy Picking” Technik, aber mittlerweile übe ich auch ein bisschen “Alternate Picking” . Während ich spiele ist es ein Mix aus verschiedenen Technik – ich denke da nicht drüber nach. Wenn ich mit Verzerrung spiele, tendiere ich dazu mehr Legatotechniken zu benutzen und bei traditionellerem Sound, schlage ich vermehrt die Noten an. Außerdem gehören die Violinen Sonaten von Bach seit vielen Jahren zu meiner täglichen Übungsroutine, welche ich mit dem Plektrum spiele. Ich habe mich auch viel darauf fokussiert bewusst Uptempo Stücke zu üben. Nachdem ich Cannonball Adderly und John Coltrane über “Oleo” und “Straight No Chaser” auf Miles Davis Livemitschnitten hörte, wollte ich diese Art zu spielen in mein Gitarrenspiel integrieren. Ich übe Uptempo Nummern mit dem Metronom auf 2&4, der Drum-Genius App und mit Backingtracks. Das Beste ist natürlich, wenn du mit einer tollen Rhythmusgruppe Live spielen kannst. Die Technik dient dazu, deine musikalischen Ideen auf das Instrument zu bringen – und mit einem guten Klang. Ich möchte das, was ich in meinem Kopf höre auf das Instrument bringen – egal in welchem Stil oder Tempo.

Dino: Was sind deine Pläne für die Zukunft? Arbeitest du an einem neuen Album oder machst Sideman Jobs? Was werden wir von Jostein Gulbrandsen als nächstes hören?

Jostein: Ich fokussiere mich momentan auf meine Arbeit als Bandleader. Diesen Sommer trete ich mit meinem Trio in New York auf, wo ich einige meiner neuen Stücke präsentieren werde. Ich habe auch ein paar Termine in Estland und Norwegen und möchte mehr machen, wenn sich die Lage der Pandemie verbessert hat. Ich habe genügend Material für ein neues Album und würde gerne ein Album im Trio und im Quartet aufnehmen. Ich werde weiterhin Endorser und Künstler für Colling Guitars sein und im großen und ganzen versuche ich das Leben zu genießen. Ich hoffe das es mir auch bald möglich ist, in Deutschland mal zu spielen.

Webseite von Jostein Gulbrandsen: www.jostein-g.com

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